Donnerstag, 14. Mai 2015

Die große Sause (17. Teil)

Tja, ist alles nicht so einfach, nicht? Ich hätte ja schon viel früher hier weitergemacht mit dem Berichten, wenn sich nur nicht der Frust so lähmend auf meine Energie gelegt hätte. Nun war ich in Cambridge endlich mal ausgestiegen aus dem ganzen Trott, hatte energisch auf den Tisch gehauen, keine Verantwortung mehr übernommen für das Gelingen unseres Reiseprogramms, und was war passiert? Die Mia hatte sich ihre Teichfregatte an den Ärmel geklemmt und war in die Stadt gezogen, einen auf Honeymoon machen; die Cora tat nackt (iiiih!) in der Wellness-Oase im Hotelkeller auf den Frankensepp warten mit Schampus und sündigen Absichten, und mich hatte der Pit auf ein Floß gelockt, obwohl er von Marine keine Ahnung hat, und dort eine Havarie verursacht, wovon die abgegluggerten Studentenpaddler sicher noch Jahrzehnte reden werden. Ist es ein Wunder, dass meine Müdigkeit über diesen Honk-Verein bis heute anhält?

Beim Frühstück hat der Grunzer der Cora Rührei in den Schnabel gefüttert. Die tat ölig kichern und „Nicht doch, mein Süßer!“ perlen. Boah, nee, bestimmt haben die beiden erotisches Anstarren gemacht, dort unten auf ihrer Turtel-Insel im Pool, nachdem ich weg war – wetten? Das mag ich mir gar nicht vorstellen. Schweinkram.

In der Zeitung auf der Lokalseite stand, dass es auf dem Fluß Cam tags zuvor einen üblen Zusammenstoß gegeben hätte. Unbedarfte Touristen wären schuld daran und die Teilnahme der Mannschaft am diesjährigen Traditionsrennen auf der Themse ungewiss wegen der kaputten Boote. Der Pit hat seelenruhig weitergemampft und dann sein fettiges Würstchen auf die Zeitung gelegt, nachdem auf seinem Teller kein Platz mehr war. Ich glaube, das Gewissen von dem Kerl ist aus Teflon. Alles rutscht daran ab.

Von der Mia wurde ich umarmt. Das kam so plötzlich, dass mir die Marmelade vom Schinken getropft ist. „Maxilein“, hat sie mich genannt und so ein eigenartiges Flöten in die Stimme gelegt. Mir kam das gleich komisch vor. Dann endlich, nachdem sie mir ewig an der Schulter herumgeturtelt hatte, tat sie rausrücken mit der Sprache: Wenn ich doch sowieso keine Lust hätte, mich in der Organisation unserer Reise aufzureiben, dann sollte ich mich mal richtig zurücklehnen und die andern machen lassen. Wir würden jetzt nach London fahren – „Nicht mein Schnuckelchen, du?“– , und sie täten alles organisieren. Ich brauchte mich um nichts zu kümmern, um gaaar nichts.  Ich sollte mich schön auf die Veranda setzen und mich überraschen lassen, wie prima das klappen täte.

Na gut, das war jetzt auch schon egal. London hin oder her. Ich habe der Mia die Kreditkarte gegeben. Der Harald ist mit dem Pit zum Bahnhof gegangen, eine Fahrkarte kaufen. Die Unterkunft haben sie auch gleich gebucht. Seniorengerecht, wie sich später herausstellte. Mit Fahrstuhl, Griffleisten im Flur und Schaukelstühlen im Aufenthaltsraum. Dort täte ich mich fein ausruhen können, während die andern unterwegs seien, die Stadt erkunden. Wohl verrückt geworden, was? Ich bin doch kein Tattergreis.

Die Cora hat meinen Rucksack gepackt, der Grunzer ist Proviant kaufen gegangen. Warum ich immer nackt schlafe, wenn ich doch einen Schlafanzug dabei hätte, hat die Cora wissen wollen. Bügelfalten sind da jetzt drin, nur vom Zusammenlegen. Das muss der Cora erst mal einer nachmachen.

Am Vormittag sind wir nach London gefahren. Ist ja nicht weit von Cambridge entfernt. Mit der U-Bahn ins Stadtteil, dann zu Fuß weiter zur Pension. Der Verkehr dort ist etwas schneller und reichhaltiger als auf dem Land, aber falls jetzt einer meint, das wäre zu gefährlich für uns, weil wir uns nicht in der Großstadt zu verhalten wüssten, dem sei gesagt: Quatsch! Wir wissen sehr wohl, wie man sich im Straßenverkehr benimmt. Hier bitte, der Beweis, alles vorschriftsmäßig:


Unser Hotel lag nicht direkt im Zentrum, sondern etwas am Rand. Eigentlich lag es sehr idyllisch, fast schon einsam. Die Mauern  hatten was Historisches.


Den Einrichtungsstil nennt man, glaube ich, feudal. Das Wort kommt allerdings nicht von „Feudel“, obwohl alles blitzeblank gescheuert war, sondern meint so was wie „royal“, nur falsch geschrieben.

Das bin ich
Hinten im Garten war eine Liegewiese. Dort habe ich meinen Liegestuhl hingezerrt, weil die Sonne  schien und ich mich erholen wollte. Das war eine ganz schöne Ochserei. Immer wieder musste ich innehalten, um Kräfte zu sammeln und mit beherztem Ruck das aasig schwere Ding über den Rasen zu kriegen. Dauernd taten sich die Kufen in den Grasnarben verheddern. Aber dafür hatte ich dann die Aussicht für mich ganz allein. Kein Opa und keine Oma waren weit und breit zu sehen. In England spielen alte Leute drinnen Bridge. Auch bei schönem Wetter.


Die andern hatten sich gleich nach der Ankunft vom Acker gemacht. Ich täte doch allein zurechtkommen, nicht wahr? Oder sollten sie schnell noch an der Rezeption Bescheid sagen, damit jemand käme, um mir was vorzulesen oder das Kissen aufzuschütteln? Dass mich keiner gefragt hat, ob ich nicht doch mitwolle zur Besichtigungstour, hat mich zwar ein wenig stutzig gemacht, aber nicht wirklich gestört. Im Gegenteil, ich war froh, dass ich die Truppe los was. Es war ja nicht mein Geld auf der Kreditkarte, das sie verplempern würden, sondern das von Mama, und wenn der Pit wieder irgendwo dran herumpopeln täte und London fortan das Schicksal von Troja, Atlantis oder Vineta erleiden sollte, so ginge mich das nichts an. Natürlich wäre es schade um diese prachtvolle Stadt, aber dafür müsste die Knackwurst dann schon ganz allein ihren Ringelfrottee hinhalten. 

Ich habe mir erst mal einen schönen Kakao servieren lassen, noch auf der Veranda, bevor ich auf die Liegewiese umgezogen bin. 


Zum Mittagessen war ich im Restaurant.


Leider hatten sie keine Schlachterplatte, auch keine Erbsensuppe. Ich habe Crurryhuhn mit Reis gegessen. Das ist koloniales Hühnerfrikassee, nur nicht ganz so flüssig.

Nach dem Essen bin ich gleich zurück in den Liegestuhl. Hach, diese Ruhe, unbeschreiblich. Erst wenn man den direkten Vergleich hat, merkt man, wie ausgezehrt und erholungsbedürftig man war. Ab und zu bin ich eingeschlafen. Ulkig geträumt habe ich dabei, z.B. von einem einsamen, nebelumwaberten Steg, so wie dieser hier:


Dort bin ich hingegangen, weil ich Geräusche hören tat, so ein Jaulen, als wenn mich jemand rufen täte, eine unsichtbare Kreatur, vielleicht ein Wolf oder ein Yeti. Immer näher tat es rufen. Ich dachte noch, was hat er bloß, ein Span im Zahnfleisch? Dann war der Steg zu Ende, der Nebel war aber noch da und unter meinen Krallen tat es gummiartig nachgeben. Oh-ha, Moor. Plötzlich kam eine Gestalt aus dem Dunst getreten. Es war ein Mann. Ob das hier der Weg nach Baskerville sei, wollte er wissen. Ich sagte, nö, eigentlich nicht, keine Ahnung, ich wäre fremd hier. Da ist er weitergegangen und ich bin wieder dem Jaulen gefolgt. Immer matschiger wurde es um meine Knöchel. Als ich bis zum Bauch in der Pampe feststecken tat und ein paar riesige Zähne über mir auftauchten, bin ich aufgewacht. Der Schrei tat noch in meiner Kehle hallen.

Puh, dunkel geworden war es inzwischen. Ich lag noch immer in meinem Liegestuhl, nur mittlerweile in völliger Schwärze. Mir war kalt. Schnell bin ich ins Haus gelaufen, weil ich dachte, die andern wären schon da und würden sich Sorgen machen, wo ich bliebe. Unser Zimmer war aber noch genauso, wie wir es verlassen hatten. Unsolide! Wo die sich bloß wieder herumtrieben?

Ich bin runter in den Aufenthaltsraum gegangen. Dort hat man Bingo gespielt. Ich habe mich dazugesetzt. Als mich die Mia von hinten antippen tat, hatte ich zwei Tafeln Schokolade gewonnen, ein Glas Bitter-Orange-Konfitüre und das Heftlein „Lovely birds in my garden“. Die Mia hat mich mitgenommen. Die andern taten sich gerade zum Schlafen fertig machen. Der Grunzer hatte Aufstoßen, der Harald Ketchupflecken am Hals, die Cora eine Fahne mit Schwipps und der Pit – wie immer – eine harmlose, neutrale Fassade, die nichts verraten tat von den Abgründen dahinter.

Sie wären Kultur besichtigen gewesen, taten sie behaupten. Es gäbe ja so viel zu sehen für kulturinteressierte Leute, einfach unglaublich. London sei riesengroß, überwältigend, phantastisch, da käme man an einem Tag gar nicht rum. Deshalb hätten sie eine Auswahl treffen müssen, nur das Nötigste.

Am Palace of Westminster wären sie gewesen. Da gäbe es auch die Themse und den Big Ben:


Westminster Abbey ist die berühmte Kirche:


Die andere berühmte Kirche ist St. Paul's, die mit der Kuppel:


Die Tower Bridge müsste man natürlich auch unbedingt gesehen haben:


Auch den Tower von innen:



Dann wären sie Mittagessen gewesen. Ganz leichte Kost, Salat:



Anschließend hätten sie das Naturhistorische Museum besucht, Skelette begucken und so:


Danach zum Buckingham Palace. Die Queen hätten sie aber leider nicht gesehen:


Dafür aber diesen jungen Mann, der da arbeitet und sich nicht wehren kann, wenn die Cora ihm aufs Dach steigt:


Abends hätten sie dann noch schnell einen weiteren leckeren Salat gegessen und als Absacker in einer Milchbar einen Vanille-Shake getrunken. Jetzt wären sie zurück, todmüde, kaputt und froh, dass hier so ein gemütliches Bett steht. Und mein Tag, wie wäre der gewesen?

Ha! Wer's glaubt. Kulturprogramm! Dass ich nicht lache. Die sind hier gewesen, bei Harrods einkaufen:

Und hier:


Statt Salat haben sie doch wohl eher das hier gemampft:


Zu beziehen an diesem Ort:


Im Riesenrad sind sie sicher auch gefahren:


Und in der Kneipe waren sie, Guinness trinken. Sonst würde die Cora ja nicht so dämlich grinsen.


Mir macht so schnell keiner was vor. Die waren sich amüsieren gegangen; die hatten nix gesehen von London. Aber egal. Ich habe bald nicht mehr zugehört beim Erzählen. Mich tat das alles nicht interessieren. Irgendwann haben nur noch die Mia und die Cora geredet, die andern schnarchten schon. Dann war auch die Mia stumm und die Cora hat mich gefragt, ob ich mir nicht endlich die Füße waschen wollte, bevor der restliche Dreck auch noch aufs Laken pulvern täte.
„Ist das Schlamm?“
„Du bist besoffen, Cora“, habe ich gesagt.
Da war nichts an meinen Füßen. Das Licht wollte ich nicht noch mal anknipsen, um die andern nicht zu wecken. Sonst hätte ich selbst nachgeschaut.

Fotos: Cora © G.H.
          Grunzer © U.W.
          Pit © Club der glücklichen Vierbeiner 

       Abbey Road, London: Shane Global, Bild steht unter Creative Commons Licence; die Veränderungen (Vögel 
          eingefügt) stammen von mir 

          Landhaus, Service, Wachmann, Esstisch, Pommes frites, Riesenrad, St. Paul's, Park, Buckingham Palace
          Fressmeile, Westminster/Big Ben, Westminster Abbey, Harrods, Naturhistorisches Museum, Salon: Pixabay

          Schaufenster, Salat, Steg, Tower Bridge, Tower innen: Morguefile

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